Das letzte Konzert der fünften Welttournee, endlich mit klarem Kopf

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Malcolm spielte auch heute wieder mit dem Publikum, ausgelassen fegte er über die Bühne, es war einfach ein großartiges Gefühl, dass Viviane und Leo jetzt am Bühnenrand saßen und zuschauten. Wenn er manchmal einen Blick nach rechts warf, vorsichtig, denn der verspannte Muskel schmerzte immer noch ein wenig, sah er Leo strahlen wie ein Honigkuchenpferdchen. Er saß auf Vivianes Schoß, baumelte mit den Beinen, klatschte in die Hände, manchmal sang er mit, vor allem die Lieder der fünften CD, die er hinreichend vom Entstehungsprozess her kannte. Er war ja genaugenommen in dem Studio aufgewachsen, während Malcolm diese Titel geschaffen hatte. Das war einfach nur schön. Etwa nach der Hälfte des Hauptacts sah Malcolm, dass Leo ruhiger wurde und gähnte. In der Pause vor dem nächsten Titel eilte er zu ihm, drückte ihm einen Kuss auf die Lippen, Viviane wischte ihm schnell den schwarzen Fleck von Leos geschminkter Nase aus dem Gesicht, dann ging es weiter. Jetzt, wo er nicht mehr Rücksicht auf die zarten Ohren seines Jungen nehmen musste, heizte er das Publikum noch mehr an.

Zwei Titel später entdeckte er Viviane neben Lucien im Publikum, also schlief sein Junior. Das war irgendwie ein wenig kurios. In der Pause vor der Zugabe ging Malcolm leise in die Garderobe, zog sich um, trocknete sich ab und fand einen Moment Zeit, sich über seinen Sohn zu beugen und ihm einen Kuss auf die Stirn zu drücken. Dann noch einmal raus auf die Bühne, die Zugabe zelebrieren, jetzt einmal das Publikum still stehen lassen, die Stille in der Halle auskosten und dann noch einmal final losrocken... es war faszinierend! Wieso hatte er das nicht eher begriffen, dass er hier nicht das Opfer, der Gejagte war, sondern der Zeremonienmeister, der diesen Abend lenkte? Das war eine gute Idee für einen neuen Titel, merken!

Dann beim letzten Titel, Kitty Puppet, kamen die wehmütigen Gedanken, dass diese Ära jetzt definitiv zu Ende war. Das letzte Konzert der fünften Tour! Wie jedes Mal die Tränen in den Augen. Diesmal war es endgültiger. Plötzlich musste er an Seamus denken und an Paddie. Alles würde jetzt anders werden. Wenn es weitergehen würde, er, Malcolm weiter existieren würde, dann vollkommen anders.

Es war vorbei, der letzte Titel war gesungen, die Halle brodelte. Nein, das konnte nicht das Ende sein. Joshua und Pete kamen vor, sie fassten sich an den Händen und verbeugten sich. Malcolm, der wie immer seine Gitarre, es war Tattoo beim letzten Titel, schon abgelegt hatte, stürmte zum Bühnenrand und nahm sich seine alte Bitch aus dem Ständer. Als er damit wieder auf die Bühne kam, schauten ihn alle fragend an. Er trat an sein Mikrofon, stöpselte Bitch an und erbat sich vom Publikum mit einer Geste Stille.

Als es ruhiger wurde, sagte Malcolm: "Das Konzert heute widmen wir den Leuten, die uns treu begleitet haben und von der Lawine überrannt wurden, Seamus und Paddie, für euch. Für alle Leute, die wir lieben, die zu uns stehen, wir kommen wieder. Für alles, was wir hinter uns gelassen haben. Hier ist... das Lied, für dich... Song 4..." und er sang ganz allein, nur mit Bitch zusammen seine Liebeserklärung für Viviane. Joshua und Pete standen ein wenig im Hintergrund, als Malcolm geendet hatte, rückten sie zu ihm auf und umarmten ihn. Bitch legte er nicht ab, hielt sie sanft fest, während er die Beifallsstürme entgegennahm, mit einem Kloß im Hals und Tränen, die er nicht mehr aufhalten konnte.

Hinter der Bühne, irgendjemand nahm ihm Bitch ab, wieder die herzlichen Umarmungen, Küsse, Tränen... Dann in den Armen von Lucien, so wohltuend, weitergereicht an Viviane. Auch ihre Wangen waren von Tränen feucht. Mit ihr zusammen Rückzug in die Garderobe, Umarmung von Juan, der die Wache bei Leo übernommen hatte und sich jetzt sofort zu Joshua zurückzog. Einen kurzen Moment Zweisamkeit mit Viviane, ein frischer Tee stand bereit, dann ging Malcolm duschen. Frisch angezogen noch einmal kurz ein paar Worte mit den Kollegen gewechselt, so wollten sie nicht auseinandergehen, es wurde noch ein Treffen im Büro vereinbart, dann nahm Malcolm seinen schlafenden Sohn auf, nickte Lucien zu und sie zogen sich zurück. Lucien fuhr sie nach Hause, noch einmal ein inniger Kuss von ihm, Leo schlief fest und wurde gleich so in seinem Bett abgelegt. Dann lange Liebe mit Viviane, nicht so stürmisch und ausgehungert wie in der Garderobe vor dem Konzert, sondern verspielt, genussvoll. Dicht aneinandergekuschelt schliefen sie ein.


Start der sechsten Tournee, Glastonbury Festival...


Sie waren die letzte Band dieses Abends, der Zeitplan hing schon fast eine Stunde zurück. Leo war längst im Bett, als Malcolm angezogen und geschminkt aus dem Container kam. Eine neue Kanne Tee stand bereit, warmer Kamillentee war sehr hilfreich für die Stimme beim Einsingen. Zu dritt standen sie dann nebeneinander, tanzten zu der allgegenwärtigen Musik, immer wieder Schulterklopfen, Hände abklatschen, Juan und Lucien kamen, Larissa würde heute Leo hüten. Malcolm tigerte ein wenig nervös auf und ab, noch eine Zigarette, das Lampenfieber war da, er wollte jetzt endlich durchstarten. Er schwitzte schon, rollte sich die Hemdsärmel noch weiter hoch, ein T-Shirt lag bereit.
Endlich der Einmarsch in das Geschrei der Menge, durchatmen, die Emotionen der Massen auf sich einwirken lassen, Arm hoch... grinsen, nicken, warten... mit einem überlegenen Lächeln auf den Lippen noch länger warten... dann kommentarlos mit Avalanche durchstarten.
Malcolm spürte die Erwartungshaltung der Menge, ein neuer Titel war angekündigt, also würden sie ihn wohl auch spielen. Er ließ sich Zeit, viel Zeit. Irgendwann verständigte er sich mit seinen Kollegen, Master of Puppet erst als Zugabe zu bringen. Sollten sie zappeln, er war doch der Master, der hier die Show steuerte.
Es war sehr heiß, einen Liter Wasser und zwei Glas Tee hatte Malcolm schon geleert, er triefte vor Schweiß. In der Pause vor der Zugabe das Hemd gegen das trockene T-Shirt tauschen, trinken, rauchen, dann wieder hinaus, immer noch nicht den Master, statt dessen ein endloses Gitarrensolo in Clean Room. Zweimal schon hatte ihn die Tontechnik über den Ohrhörer angesprochen, durch Gesten signalisiert, langsam Schluss zu machen, Malcolm ignorierte solche Dinge gerne, wenn er spielte. Dann, als der Beifall für den letzten Titel tobte und er noch einmal zur Wasserflasche ging, die eindringliche Stimme von Adam in seinem Ohr, lauter jetzt: "Mal, komm zum Schluss. Es ziehen Gewitter auf, wir sind weit über die Zeit, der Veranstalter will die Arena hier leer haben, wenn es losgehen sollte. Fünf Minuten hast du noch!"
Er drehte sich um, kurz den Daumen hoch als Quittung, dann trat er wieder vor an sein Mikrofon. Er hatte schon ringsum das Wetterleuchten am Himmel gesehen. Mit einem Lächeln im Gesicht stand er da, wartete, zeigte dann in den Himmel, schnipste mit den Fingern, das noch einmal nach rechts, die Masse vor ihm wurde ruhiger und viele schauten jetzt ebenfalls in den Himmel, folgten seinem Fingerzeig. Fingerschnipsen nach links... Bingo!... gerade zuckte am Horizont dort ein Blitz.
"Unsere neue Lichtshow!" sagte er grinsend mit ruhiger Stimme. "Gefällt es euch?" Grölen von den Leuten vor ihm, er legte sich den Zeigefinger auf die Lippen, es wurde tatsächlicher leiser. "Zum Abschluss unser neuer Song, Master of Puppet" teilte er wie beiläufig mit, hörte, wie Pete den Takt mit den Drumsticks einzählte und sie legten final los. Der Beifall danach war umwerfend, Malcolm legte demonstrativ die Gitarre ab, es war seine neue Liebe Divine und stellte sich mit seinen Kollegen in die Reihe. Winken, Kusshand, Malcolm verschwand wie immer als erster. Joshua hatte offenbar ebenfalls Regieanweisungen erhalten, er trat noch einmal an sein Mikrofon und bat die Leute, jetzt ruhig, aber zügig nach Hause oder in ihre Zelte zu gehen, da ein Gewitter aufzog. "Vielen Dank, ihr wart wunderbar. Kommt sicher nach Hause und durch die Nacht!"

Hinter der Bühne stand schon ihr Truck, die Crew war bereit, Jubel von allen, Umarmungen, dann eilten sie los, wollten verladen, bevor es regnete. Malcolm wischte sich den Schweiß vom Gesicht, jetzt war es egal, wenn das Make-up im Handtuch landete, es sollte keiner merken, dass er sich nebenbei auch die Tränen aus den Augen wischte. Eine Kontaktlinse war herausgerutscht, egal, er fummelte die andere auch gleich heraus. Lucien reichte ihm eine große Tasse Tee, warm, gerade richtig zum trinken. Eine Zigarette anstecken, Joshua umarmen, Pete hob ihn einfach hoch, der Rest Tee verschwappte... die Stimmung war einfach großartig. Malcolm schüttelte sich die nassen Haare aus dem Gesicht und atmete mehrmals tief durch.
"Okay. Okay, es funktioniert. Der Master kam doch gut, oder?"
Joshua kicherte: "Mit deiner Einleitung... absolut perfekt. So ein Gewitter sollten wir jetzt immer buchen. Das war... richtig geil, ja!"
Langsam steuerten sie ihren Container an. Der Backstagebereich war schon ziemlich leer, viele hatten schon zusammengepackt und waren sicher wegen dem Wetter schon eher aufgebrochen, eine Band hatte noch ein Lagerfeuer im Grill und feierte lautstark. Einer rief von dort: "Hey, Dark Skirt! Kommt her, Jungs, ihr wart Klasse! Wir haben noch genug Bier, wollt ihr?"
Malcolm winkte ab, Pete grinste und drehte ab. "Okay, ich übernehme den Part. Ist ja sowieso nur eine Dusche da."
"Die Dusche gibt es sicher bald flächendeckend von oben" kommentierte Joshua. "Wer zuerst?" fragte er Richtung Malcolm.
"Geh du nur. Ich geh hier noch eine kleine Runde, muss erst einmal wieder runterkommen. Es war echt aufregend. Wir waren gut, Josh. Ich kann es noch!"
Dieser grinste. "Besser als je zuvor, Kurzer. Du bist in Höchstform, absolut!"
Lucien begleitete Malcolm auf seinem kurzen Spaziergang, hatte eine Hand auf dessen Schulter gelegt und schwieg. Viel später sagte Malcolm: "Du siehst satt aus, Luzie."
Dieser nickte. "Satt und zufrieden. Fühlst du es auch so?"
Malcolm nickte. "Ja. Ich habe mich wirklich richtig gut gefühlt. Der Master ist die perfekte Rolle, hätte viel eher darauf kommen sollen."
Lächelnd schüttelte Lucien den Kopf. "Vorher warst du noch nicht so weit. Jetzt ist es gut, das ist der richtige Moment."
"Ja, das scheint so. Wenn es so weiter geht... dann haben wir es wohl gepackt."

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