Die Hütte war ebenfalls spartanisch eingerichtet, ein Raum, Matratzen lehnten an der Wand, in einem Regal lagerten Deckenstapel. Ein hölzerner Tisch stand in einer Ecke, zwei Bänke, das war die Einrichtung, an der rechten Außenwand befand sich der offene Kamin. Immerhin stand an der einzigen Tür ´Bathroom`.
Kenny machte sich schon am Kamin zu schaffen, neben dem ein stattlicher Torfvorrat lagerte. Vincent packte den Rucksack mit den Einkäufen aus, als er sich umschaute, fand er auf einem Bord Teller, Besteck, einfache schwere Pressglasgläser, aber der Whisky würde sicher auch daraus schmecken. Vincent legte die vier Burger auf einen großen Teller und stellte sie unter den Tisch, das Obst legte er einfach auf den Tisch und stellte die Milchflasche daneben. Das Abendbrot war angerichtet.
Sie speisten gemeinsam, dann rauchte Vincent seine Zigarette und sagte: "Jetzt kommt bestimmt bald wieder der tragische Teil deiner Erzählung. Dein Sohn war ja schließlich ein Mensch."
"Aber du hättest ihn doch verwandeln können. Und dann hätte er unsterblich werden können. Hast du das gemacht, Kenny? Ist er dein Anwalt?" wollte Mikah wissen.
Kenny schüttelte den Kopf. "Nein, genau das habe ich nicht getan. Denn dann hätte ich ja meinem Sohn sein Leben genommen. Was soll daran tragisch sein, wenn einer sein Leben erfüllt und glücklich bis zum Ende lebt? Alles andere wäre rein egoistisch von mir gewesen. Wir wussten beide, wie es ausgehen würde. Alex war so ein kluger Junge. Er wusste genauso wie ich, wann der Zeitpunkt für die Trennung gekommen war. Er hatte sein Studium beendet, dann zogen wir nach Inverness und eröffneten dort seine Kanzlei. Es lief gut an, er hatte sich auf Land- und Eigentumsrecht spezialisiert und bemühte sich, unseren Leuten mit legalen Mitteln ihr Land zu erhalten. Bald plante er seine Hochzeit, eine gute Partie, die Tochter eines Bankiers, der sich später in die Kanzlei einkaufte. Sie waren glücklich miteinander, doch ich lernte seine Frau nie richtig kennen, da ich offiziell nicht mehr vorhanden war. Ich beobachtete sie noch eine Weile, ging manchmal mit Alex zusammen auf Reisen, wenn er seine Klienten in den Highlands besuchte, aber als mein erster Enkel, Kenneth MacKenzie geboren wurde, war Zeit für den endgültigen Abschied. Alex organisierte noch ein Treffen mit seiner reizenden Frau und dem kleinen Kenneth, er stellte mich, der ja nun jünger war als er, als einen entfernten Cousin vor. Einmal hielt ich meinen Enkel auf dem Arm, dann trat ich meine Schiffsreise nach Amerika an. Unbedeutend ist, dass das Schiff beim Auslaufen aus dem Hafen einen Felsen streifte und ziemlich schnell sank, es war voll mit Auswanderern, sicher die Hälfte von ihnen ertrank. Ihr habt doch bestimmt schon lange auf Schiffbruch Nummer drei gewartet. Der nächste Versuch klappte besser, 1774 verließ ich Schottland, mein Sohn war 28 Jahre alt, mein Enkel ein halbes Jahr."
Schweigen breitete sich in der Hütte aus.
"Hast du Alex je wiedergesehen?" fragte Vincent mit belegter Stimme. Mikah hatte Tränen in den Wolfsaugen.
"Nein, nie wieder. Wir hatten Briefkontakt miteinander, nur ging die Post manchmal über den Ozean ein halbes Jahr oder kam gar nicht an. Alex berichtete mir akribisch, wie sich die Familie weiterentwickelte, erzählte mir von meinen weiteren Enkeln, später von den Urenkeln.... Nun, irgendwann kam der Brief, geschrieben von seinem Nachfolger Kenneth, dass Alex im Alter von 76 Jahren friedlich im Kreis seiner Familie gestorben war. Für mich war das der Zeitpunkt, alle Kontakte abzubrechen und in die Wildnis aufzubrechen."
Wieder Schweigen.
"Und ... diese MacKenzies, die Nachfahren von deinem Alex, sind jetzt deine Anwälte in Inverness?" fragte Vincent.
"Ja, so ist es. Sie haben wirklich dieses Familiengeheimnis bis heute weitergegeben. Alex hat zwar einen Vertrag aufgesetzt, von dem ich mehrere Kopien an geheimen Orten deponiert habe, die sicherstellen sollen, dass meine Ansprüche gewahrt sind, sollten sich die jeweiligen MacKenzies nicht an die Vereinbarungen halten, aber es war bis jetzt nicht nötig, ihn hervorzuholen. Jetzt vor kurzem habe ich mich in Inverness dem neuen Juniorchef, Kenneth Angus MacKenzie vorgestellt. Er hat noch die Augenfarbe von Amy, aber rote Haare. Sie bewahren bis jetzt mein Geheimnis. Und als ich 1905 endlich wieder nach Schottland zurückkam, empfing mich der damalige Alex, so nenne ich sie insgeheim für mich, mit einem Stapel Briefe, die unzustellbar aus Amerika zurückgekommen waren sowie einer handgeschriebenen Chronik, in der sie über all die Jahre durch alle Generationen alle relevanten Familienbegebenheiten festgehalten hatten. Sie steht jetzt in meinem Bücherregal im Castle. Nennst du das tragisch?" fragte er Richtung Vincent.
Dieser atmete laut aus. "Ich weiß nicht. Es ist rührend, tragisch, aber auch hoffnungsvoll. Du hast so eine Art Familie."
"Ja, das habe ich" sagte Kenny leise und schenkte allen erst einmal Whisky ein.
"Kann ich jetzt heulen gehen?" fragte Mikah dann.
Als das Wolfsgeheul schaurig und ergreifend in den Abendhimmel aufstieg, mehrfach wiedergegeben als Echo von den Bergen, fragte Vincent leise: "Ich frage mich, wie viel kann eigentlich einer wie du ertragen?"
Es dauerte eine Weile, bis Kenny antwortete: "Ich weiß es nicht. Aber ich bin gewillt, es herauszufinden."
"Warte, lass mich rechnen, du warst da ja dann schon .... 160 Jahre alt, als dein Sohn starb, stimmt´s?" fragte Vincent nachdenklich. "Und ab dann bist du herumgestreift, wie lange?"
"Und wie bist du dann zu den Lakota gekommen? Wann war das?" drängte Mikah.
"Bald, Mikah, viel zu bald! Aber dieses Thema würde ich gerne auf morgen verschieben. Wollen wir noch mal vor die Tür gehen? Der Mond müsste jetzt weit über dem Pass stehen und ins Tal scheinen."
Genauso bot sich die Szenerie dar, als sie Kennys Vorschlag in die Tat umsetzten. Vollmond über dieser traumhaften Landschaft! Alle drei waren fasziniert, Kenny führte sie dann zu der Ruine. Im Inneren ließ er sich auf einem Mauerrest nieder, Vincent setzte sich zu ihm, Mikah legte sich in das spärliche Gras.
"Hier in dieser Hütte habe ich damals mit Alex drei Tage und Nächte zugebracht. Damals wohnte hier die Familie des Andrew MacKenzie, ein Jäger. Stellt euch vor, hier in dem großen Raum, Mutter, Vater und die acht Kinder, das älteste elf, vielleicht zwölf Jahre. Hinter dieser Mauer, in dem kleineren Abteil, die magere Kuh, drei Schafe und ein paar Hühner. Andrews beide Collies lagen mit bei den Kindern. Sie nahmen mich und Alex selbstverständlich bei sich auf, die Frau stand kurz vor der Niederkunft, die Kinder waren allesamt mager, krank, hatten eitrigen Ausschlag am ganzen Körper. Da kam der Druide gerade recht. Nun, ich besah mir die Kinderschar und ordnete als erstes eine Totalschur an, was die größeren Fräuleins sehr verärgerte und ein Bad mit Kräuteraufgüssen. Sie waren allesamt furchtbar verlaust und von Flöhen zerstochen. Einen Badezuber gab es nicht, wir tunkten sie in die Viehtränke, nachdem sie geschoren wurden waren. Ich rieb sie mit Heilsalben ein und wickelte sie in die Decken, die ich vorher über einem großen Feuer im Kräuterrauch ausgeräuchert hatte. Ihre Kleidung wurde ebenfalls gespült und über dem Rauch getrocknet, das Heu, auf dem sie schliefen, in den Stall gebracht und frisches Heu ausgelegt. Erst dann durfte Alex sich mit zu ihnen legen. In dieser ersten Nacht zog ich dann noch Vater Andrew einen vereiterten Zahn, es war der vorletzte. Ein Junge hatte einen eitrigen Zeh, ich badete ihn in Seifenlösung und musste dann schneiden.
In der nächsten Nacht erklärte ich Mutter MacKenzie die Anwendung von Kräutern, wie sie wenigstens Salben herstellen konnte, um die schlimmsten Auswirkungen der Floh- und Lausattacken zu behandeln und wie sie eine Grundsauberkeit halten konnte. Die Unterweisung wurde erst einmal unterbrochen durch die Ankunft von NicKenzie, also einer Tochter und wurde in der nächsten Nacht mit dem Spezialgebiet Babyhygiene und Vorschlägen zur Vermeidung weiterer kleiner MacKenzies fortgesetzt. Aber sie haben mit den kärglichen Mitteln, die sie hatten, Alex die drei Tage genauso mit durchgefüttert wie ihre eigenen Kinder, Andrew bot mir sein Blut an, einmal trank ich von der Kuh, um sie danach zu segnen. Nachdem wir uns verabschiedet hatten, gelang es mir, hier im Glen einen Hirsch zu erwischen, gemeinsam schleppten wir ihn zurück und legten ihn hier vor dieser Türschwelle ab. So war damals das Leben in den Highlands, sie waren arm, aber immer gastfreundlich.
Lasst uns jetzt wieder reingehen und uns zum schlafen niederlegen. Glaubt mir, diese MacKenzies waren damals hier glücklich, auf ihre Art. Drei ihrer Kinder sind erwachsen geworden, ich könnte dir ihren Stammbaum darlegen, aber ihr kennt diese Leute ja sowieso nicht. Morgen erzähle ich euch von meinen Erlebnissen mit den Lakota."
In der Hütte legte Vincent seine Matratze neben die von Kenny und Mikah, dann nahm er, obwohl es diesmal nicht kalt war, seinen Schlafplatz an Mikahs linker Seite ein, Kenny lag auf der rechten Seite des Wolfspelzes. Nach den gegenseitigen Gute Nacht-Wünschen fügte Kenny noch an: "Die kleine Alexandra, der ich hier damals auf die Welt geholfen habe, war eine der drei."
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